Chronologie

2005
Eine Schülerin formuliert während der Sprechstabrunde (Klassenrat) Ende 2005 ihren Wunsch, wie vorhergehende Jahrgänge mit der Schule eine Bildungsreise durchzuführen – eine Idee, für welche die Schulgruppe sofort Feuer und Flamme ist. Dieses Feuer wird vom Lehrerteam dann sorgsam gehütet und genährt.

Mai 2007
Nach langer und intensiver gemeinsamer Vorbereitung – inhaltlich, mental und finanziell – wird diese Idee auf einer wagemutigen Reise durch Marokko Wirklichkeit. Die beiden lokalen Reiseleiter Stefanie und Haddou Tapal-Mouzoun, ein deutsch-marokkanisches Paar mit eigenem Reisebüro, führen die zwölfköpfige Reisegruppe der Scuola Vivante– mit Schülern zwischen 9 und 15 Jahren und der Begleitung von Veronika Müller Mäder und Jürg Mäder – während zehn Tagen durch dieses vielseitige Land.

Stefanie und Haddou Tapal-Mouzoun sind beeindruckt von den Schülerinnen und vom pädagogischen Ansatz. Diese Begegnung lässt bei ihnen den Wunsch nach einer eigenen Schule wieder aufleben. Bei Abschied fällt der Satz: «Und wenn ihr eine Schule wie die Scuola Vivante im Ait Bouguemez aufbauen wollt – wir sind da.»

2007/2008
Schüler und Lehrerinnen sind nachhaltig von dieser Reise berührt. In regem Austausch mit der Schulleitung der Scuola Vivante nimmt bei Stefanie und Haddou Tapal-Mouzoun der Gedanke, im Hohen Atlas eine eigene Schule aufzubauen, Gestalt an.

Eine Schule, die in einer schwierigen Zeit zunehmenden Misstrauens den interkulturellen und interreligiösen Dialog pflegt und fördert. Eine Bildungsstätte, die den Kindern und Jugendlichen in der Abgelegenheit eines Hochtales die Möglichkeiten einer umfassenden Bildung bietet; Verwurzelung in heimischer Kultur und Sprache mit gleichzeitiger Öffnung zur Welt. Ein Bildungszentrum, das die Menschen dazu ermutigt, die anstehenden Probleme zukunftsgerichtet in die Hand zu nehmen.

November 2008
Eine Gruppe von zehn Kindern und Jugendlichen reist mit den beiden Lehrerinnen Cecile Damien und Veronika Müller Mäder ein zweites Mal in das abgelegene Tal Ait Bouguemez um zusammen mit Stefanie Tapal-Mouzoun zu eruieren, was eine Schule wie die Scuola Vivante im Ait Bouguemez bedeuten würde, welche Voraussetzungen gegeben sind, welche Schwerpunkte und pädagogische Ziele gesetzt werden müssten.

2008/2009
Schülerinnen und Schüler organisieren zusammen mit den Lehrpersonen einen Sponsorenlauf. In einem stündigen Rundlauf erlaufen sie einen Betrag von 10‘000 Franken. Der Grundstein für den Start der école vivante ist gelegt. Es folgen weitere Finanzierungsaktionen u.a. Standverkäufe von gefilzten Produkten junger Frauen aus dem Ait Bouguemez, Mittagessen und Kurzvortrag für den Kiwanis Club, Flohmärkte und Chorauftritte.

Gemeinsam wird eine Werbe- und Finanzierungsbroschüre erstellt, die einen Einblick gibt in die Entstehungsgeschichte der Idee, in die Situation des Tales und in den Sinn, den der Aufbau einer „école vivante“ vor diesem Hintergrund erfüllen kann: Die école vivante in Marokko – Auf zu neuen Horizonten.

Im Ait Bouguemez wird während der Sommerwochen ein Freizeitangebot mit einfachen Spiel- und Malaktivitäten angeboten, um das Bedürfnis einer neuen Schulform auszuloten. Die Kursnachmittage sind nach kürzester Zeit übervoll. Es beginnt eine intensive telefonische und schriftliche Beratungsarbeit mehrheitlich zwischen Veronika Müller Mäder und Stefanie Tapal-Mouzoun. Die Schülerinnen und Schüler der Scuola Vivante werden immer wieder in den Prozess miteinbezogen.

2010/2011
Start der école vivante
Weiterbildung des Teams der école vivante in Buchs
Aufnahme der Scuola Vivante in die UNESCO-assoziierten Schulen der Schweiz Planung und Vorbereitung einer neuen Bildungsreise: Die Oberstufe fährt zu einer meeresbiologischen Woche an das Hydra-Institut auf die Insel Elba. Die Primarstufe ist vier Tage auf der Via Spluga bis zur Splügenpasshöhe unterwegs.
Teilnahme einer Delegation Schülerinnen und Lehrer an der Jahrestagung der UNESCO-assoziierten Schulen in Schaffhausen.

2011/2012
Vernissage Wissensheft “Mare nostrum – eine Bildungsreise”, die inhaltliche Auswertung der Bildungsreise nach Elba ans HYDRA-Institut für Meereswissenschaften. Weiterbildung der Direktorin der école vivante in Buchs, ein Teil des Teams der Scuola Vivante reist zur école vivante, bringt Material und Know-how mit, erfährt Gastfreundschaft und Weiterbildung. Konzert für den Frieden „Orient – Occident” gemeinsam mit Jordi Savall und Hespèrion XXI in Buchs SG. Im Vorfeld wird im Unterricht intensiv vorbereitet. Die Hinführung zur Alten Musik ist eine Herausforderung für das Team, da den meisten Kindern und Jugendlichen diese Art der Musik fremd ist und als „nicht cool“ empfunden wird. Die Stimmbildung, die Beschäftigung mit den inhaltlichen Themen wie Geschichte, Geografie, Sprachen, Mathe, Kultur und interessante Begegnungen wie z.B. mit Noam Hertig in der Synagoge in St Gallen öffnen für das Neue. Es entsteht ein ausführliches Lese-Programm-Heft. Der Auftritt gelingt. Die Begegnung mit Jordi Savall und den drei Weltklassemusikern beeindruckt die Schülerinnen und Schüler tief und nachhaltig. Es folgt sogleich der Wunsch, wieder einmal ein Konzert mit Jordi Savall machen zu können.

Mit der oben erwähnten Elba-Broschüre, der Zusammenarbeit mit der école vivante und dem Konzert «Orient-Occident» gelangt der Mittelmeerraum in den Fokus der pädagogischen Arbeit. Hier wird eine grosse Stärke der Scuola Vivante sichtbar: die Fähigkeit, sich innerhalb eines Themas gemeinsam auszurichten und dieses im Schulalltag in den verschiedenen Disziplinen und Fächern zu vernetzen. Sei es in Geografie oder Geschichte, in Algebra oder Geometrie, in Musik oder Kunst, in der Auseinandersetzung mit dem Arabischen Frühling oder dem Islam, in der mediterranen Küche oder bei der Vorbereitung von Bildungsreisen und Veranstaltungen. Das Team verfügt über die grosse Kunstfertigkeit, die Gruppe in ihrer eindrücklichen Vielfalt zu führen und die Themen der einzelnen Schüler liebevoll zu begleiten. Es versteht sich von selbst, dass mit diesem pädagogischen Ansatz dem Fremdsprachenerwerb eine andere Bedeutung zukommt. Die Motivation, eine weitere Sprache zu lernen, ist durch diese Begegnungen mit der Welt viel grösser. Sie wächst von innen heraus. Der britischer Sprachlehrer mit Studium in Deutsch und Französisch, Phil Hotchkiss, ist zu Recht stolz darauf, dass zwei seiner Schüler des neunten Schuljahrs das First Certificate bestanden haben – es ist ein Abschluss, der weit über die geforderten Lehrplanziele hinausreicht.

2012/2013
Der Schulalltag und die Weiterentwicklung der Schule(n) nehmen ihren Lauf. Die Beratungen für die école vivante und die Mithilfe in der Finanzbeschaffung sind nach wie vor intensiv. Im Herbst reist die Oberstufe zusammen mit Veronika Müller Mäder und Gregor Engel zur école vivante. Die Schülerinnen bringen selbst entwickeltes Lern-Material und geeignete Spiele mit. Sie bringen sich aktiv in den Unterricht ein, knüpfen Kontakte und können den einheimischen Lehrpersonen, die von ihrer Ausbildung kaum etwas anderes als Frontalunterricht mit Vorsagen und Nachreden kennen – wertvolle Impulse geben – im Gespräch aber auch nur, wie sie miteinander umgehen, sich in den marokkanischen Schulkindern bewegen und mit ihnen arbeiten. Wieder kehren die Reisenden berührt und beeindruckt zurück.

Weiterbildung einer marokkanischen Lehrerin in Buchs.

Mit der Agentur von Jordi Savall wird ein zweites Konzert terminiert: Das Programm „Mare Nostrum“ mit 18 Musikern und Stücken von rund um das Mittelmeer im April 2014.

2013/2014
Eine Gruppe Schülerinnen und Lehrer nimmt an der Tagung der UNESCO-assoziierten Schulen in Bern teil und stellt die Zusammenarbeit mit der Partnerschule in Marokko vor. Zusammen mit der Gruppe „Solidarität für eine Welt“ engagieren sich Schüler und Lehrerinnen in einer gemeinsamen Spendenaktion für die Finanzierung des Atelierbaus (Brütwerk) der école vivante. Drei Gesangsauftritte mit dem Chor Con Tigo, Standverkäufe und Projektpräsentationen im Religionsunterricht verschiedener Schulklassen bringen einen Ertrag von CHF 31’000 zusammen.

Die Vorbereitung für das Konzert „Mare Nostrum“ mit Jordi Savall und Hespèrion XXI braucht keinerlei Überzeugungsarbeit mehr. Die Kinder und Jugendlichen aller Stufen – von Basis- bis Oberstufe – beteiligen sich rege in den verschiedenen Arbeitsbereichen einer Konzertorganisation. Im Unterricht wird der Fokus auf die Musiker, ihre Heimatländer, die politische Situation, die Sprachen, die Instrumente gelegt. Filmaufnahme des Konzerts unter der Regie von Stefan Haupt und Georges Gachot. Vorbereitungsarbeiten für die beiden Bildungsreisen. Bildungsreise der Sekundarstufe 1, auf dem Landweg nach Marokko zur Partnerschule école vivante (Die Tiefe der Begegnung mit dem Mittelmeer bei der Elba-Reise und die beiden Konzerte mit Jordi Savall schufen einen verbindenden Boden, auf dem die Land-Reise nach Marokko wachsen konnte).

Bildungsreise der Primarstufe, Via Spluga II – Splügenpass bis Genua. Die „Basisstufe unterwegs“ hat ihre Standorte im geschichtsträchtigen Städtchen Werdenberg, im Garten und im Wald.

Der Schulbesuch von Studenten der PH Graubünden mit Studenten aus Casablanca bereitet zusätzlich auf die lange Fahrt ins Ait Bouguemez vor. Schulung der Marokko-Reisegruppe von Kamerafrau Carlotta Holy-Steinmann in Kameraführung, von Tontechniker Marco Teufen in den Tonaufnahmen und von Regisseur Stefan Haupt in Fragen zu Filmsujets und Regie.

Noch zu erwähnen: Die Finanzierung einer Bildungsreise ist wichtiger Bestandteil des Unterrichtes. Das Erstellen eines Budgets ist eine umfangreiche und herausfordernde Aufgabe in der Reisevorbereitung. Grundsätzlich gehört es zur Zielsetzung, dass die Teilnehmerinnen die Finanzierung aus eigener Kraft tätigen. In der Regel gilt, dass rund die Hälfte der Reisekosten im Rahmen der Schule aus der Klassenkasse generiert wird. Diese Kasse wird durch Aktivitäten der Schüler (z.B. Flohmarkt, Repair Café, Sponsorenlauf…) gespeist. Ein Teil übernimmt die Schule und für die Finanzierung eines weiteren Teils – abhängig von Dauer und Länge der Reise und Alter des Kindes – arbeiteten die Kinder und Jugendlichen in ihrer Freizeit oder die Eltern übernehmen die Kosten. Es gelingt den meisten Reisenden ohne finanzielle Mithilfe der Eltern für die gesamten Kosten aufzukommen.

Das Zurückkommen von einer Bildungsreise braucht erfahrungsgemäss immer etwas Zeit. Und Achtsamkeit. Die Jugendlichen sollen sich Raum nehmen können, das Gesehene und Erfahrene sinken zu lassen, in ihrem Rhythmus im Rhythmus der Daheimgebliebenen anzukommen. Hilfreich bei diesem Prozess ist die persönliche Auswertung über die je eigene Ausdrucksebene: Die Wortsprache, die Gestaltungssprache, die Musiksprache, die Körpersprache. Entstanden ist ein Beitrag auf Tele Südostschweiz mit Interviews, Zeitungsberichte, Blogbeiträge, Dankesbriefe, ein erster Filmbeitrag für die Eltern und natürlich die Mitgestaltung des Films: über Erzählungen, weitere Tagebucheinträge und Sichtung des umfangreichen Filmmaterials. Wichtig dabei immer auch die Frage: Was nehme ich mit? Was bewahre ich? Um welche Erfahrung bin ich reicher geworden? Hat es sich gelohnt?

2014/2015
Realisierung des Filmes „Mare Nostrum – Ein Konzert. Eine Reise.“: Ein Materialräumchen im Schulgebäude wird umfunktioniert und ein Arbeitsplatz für den Schnitt eingerichtet. Michelle Brun Co-Regisseurin und Cutterin sichtet die etlichen Stunden Filmmaterial und beginnt gemeinsam mit Stefan Haupt und in enger Zusammenarbeit mit Veronika Müller Mäder und Jürg Mäder mit dem Filmschnitt. Die Weiterführung des Projektes in Form von Filmschnitt und Kontakt mit den verschiedenen Filmberufen halten die Erinnerungen an die Reise wach und vertieften das Erlebte auf einer neuen Erfahrungsebene. Die Schüler sind bei jedem Schritt mit dabei. Sie befassen sich im Sprachenunterricht mit der Technik des Transkribierens. Sie erfassen sämtliche der auf Deutsch, Englisch und Französisch geführten Interviews. Stefan Haupt und Michelle Brun führen ein Stimmencasting für die Off-Stimme durch. In Zürich wird die ausgewählte Stimme von Sina Loop im Tonstudio aufgezeichnet. Weitere Mitschülerinnen sind als Zuhörerinnen mit dabei. Zwei Tage begleiten Kleingruppen das Grading – die Farbmischung der Endfassung. Michelle Brun gibt erste Kurse im professionellen Filmschnittprogramm Adobe Premier. Tonmischung und Grafiker laden ebenso ein, ihnen über die Schulter zu schauen. Und immer wieder werden die Jugendlichen in den Zwischenschritten dazu eingeladen, sich die Rohfassung mit anzusehen und ihre Meinung einzubringen. Ein Schüler des letzten Schuljahres, der sich aktiv an der Filmarbeit auf der Marokkoreise beteiligt hat, gestaltet seine Schlussarbeit mit einem Filmbeitrag.

Im Juni 2015 liegt eine erste Schlussfassung mit deutscher Untertitelung vor, der Film feiert im Kiwi Kino Werdenberg im Beisein von Regisseuren, Crew, Schülerinnen, Eltern, Lehrern und geladenen Gästen die Vorpremiere. Die Vorführung im Kino und das nachfolgende Fest lassen die Erinnerungen hochleben und schweissen die Schulgemeinschaft noch einmal speziell zusammen. Sommer 2015 Arbeitstage mit der Schulleitung der école vivante – Stefanie und Haddou Tapal-Mouzoun – in Buchs. Gemeinsame Sichtung des Films. Feierlicher Abschluss der intensiven Hilfe in der Aufbauphase, Übergang in eine neue Form der Zusammenarbeit. Beginn der Übersetzungsarbeit durch die Firma „diction“ von Off-Stimme und Interviews für die Untertitelung in elf Sprachen – die Muttersprachen aller beteiligten Musiker: Französisch, Englisch, Katalanisch, Spanisch, Arabisch, Hebräisch, Türkisch, Armenisch, Griechisch und Italienisch.

2015/2016
Start mit der Filmklasse „Tele Vivante“. Erste Produkte werden auf youtube gestellt, an einen Wettbewerb eingereicht und von der Fondation Eduki mit einem Preis ausgezeichnet.

Teilnahme einer Schülerinnen-Delegation an der Jahrestagung der UNESCO-assoziierten Schulen in Luzern. Teilnahme an der Tagung in Thun „Fragt doch uns“, an der eine Gruppe Schüler Auskunft über das Filmprojekt, die Schule, die Bildungsreise(n) und die Filmklasse „Tele vivante“ gibt. Interviews mit Schülern und Lehrerinnen in Zeitschriften und online-Beiträgen.

Erste Vorführungen des Films in Buchs, Salzburg, Wien, Tuttlingen, Graz, Ait Bouguemez, Herisau und Martigny, Lyon, Wettingen u.a. Die Menschen zeigen sich beeindruckt und berührt. Sommer 2016: Zürcher Filmpremiere im Kino Stüssihof. Weitere Aufführung in Vorbereitung: Kino, kulturelle Veranstaltungen, Bildungsveranstaltungen, Fernsehstationen.

Ausblick
Ideensammlung mit den Schülern und dem Team für neue Projekte, weitere Bildungsreisen, Initiativen und Impulse. Das verantwortliche Team der Scuola Vivante ist gespannt und offen dafür, in welche Richtung es weitergehen wird.

Buchs im April 2016